Entschleunigung auf dem Waldprimel-Hof

We have enough time – exactly now!

Es ist etwas Paradoxes mit der Zeit – je mehr wir uns beeilen, desto weniger scheint sie zu werden, desto schneller scheint sie uns zwischen den Fingern zu zerrinnen. Je mehr wir rationalisieren, effektivieren und beschleunigen, desto weniger scheinen wir zu schaffen und zu erleben. Die Zeit scheint immer knapp und selten erfüllt mit dem, was wir eigentlich wollten.
Der Turbokapitalismus – abgekoppelt von Tradition sowie zyklischer Prokuktions- und Lebensweise regionaler Erzeugung und Märkte sowie ein immer höherer Amortisatonsdruck auf den Geldmärkten schafft Systeme, deren Beschleunigung die Individuen zu ihren Sklaven macht oder sie überflüssig macht, sind sie den Systembedingungen und ihrer Beschleunigung nicht gewillt oder gewachsen. Diese Wirtschaftsform hat es geschafft, den Menschen dazu zu bringen, sich selbst zu Höchstleistungen an zu feuern und aus zu beuten – eine Weile aus Nervenkitzel, Beherrscher und Lenker zu sein und durch Konsum Lebensgefühl erstehen zu können – und dann aus Angst, sonst nicht mithalten zu können, abzurutschen aus der Konsumspirale und vor allem aus der Anerkennung über Leistung.
Die Frage ist, ob wir in einer solchen Welt human leben können und wollen. Ob wir nicht sogar auf dem besten Wege sind, die Welt dabei verlieren, weil wir durch unsere Eile, heute so rentabel und bequem wie möglich zu leben, die Zukunft versetzen. Und weil wir dann Angst haben müssen, wenn wir den Leistungsforderungen einmal nicht mehr gewachsen sind, weil wir einen Unfall hatten, einfach älter werden oder Kinder groß ziehen, weil wir krank oder behindert (worden) sind und uns gleich damit jede Leistungsfähigkeit und Gabe abgesprochen wird.

Was im Garten geschieht, kann Punkt für Punkt als Gleichnis gelten für unser Leben außerhalb des Gartens, für unsere Möglichkeiten des geduldigen Zulassens und für unsere Irrtümer des eiligen Zugreifens. Die Verwüstung unserer Welt ist ein Werk der Eile, und die Geduld wartet auf das Scheitern der Eile. Dass sie scheitern muss, weiß der Gärtner – und er ist übrigens kein Idylliker, sondern ein Partisan. (Vom Geschmack der Lilienblüten)
Jürgen Dahl

 

Angebote und Vakanz

Basisangebot ist quasi ein Entschleunigungsurlaub auf dem Waldprimelhof. Die Immobilie zwingt dazu, sich selbst und seinen grundlegenden Tagesabläufen mehr Zeit und Fürsorge – modern ausgedrückt: mehr Achtsamkeit zu widmen. Sich und seine Umgebung wieder intensiv zu spüren und seinen Befindlichkeiten und Wünschen nach zu spüren. Sie erhalten eine Ausführliche Einführung in die Häuslichkeit. Eine Küche sowie die gemütliche Blockstube mit Ofen stehen ihnen zur Verfügung. Ein Fahrrad ist genauso inkludiert wie alle Zutaten für ein leckeres Frühstücksbuffet – möglichst aus der eigenen Produktion unseres Hofes oder regionaler und ökologischer Herstellung/fairem Handel. Optional sind sie herzlich eingeladen, am Mittagessen teil zu nehmen.
Damit sie nicht Freitag nach einem hektischen Arbeitstag schon loshetzen, ist die Anreise bei uns immer sonntags. Vielleicht wollen sie auch einen Zwischenstop auf ihrem Weg einlegen, wo sie sonst nur vorbeirauscht wären?
Aus dem gleichen Grund des bewussten Zeitumganges ist immer samstags Abreise, damit sie noch einen Tag Zeit haben, ihre Dinge zu Hause zu ordnen und sich auf die kommenden Aufgaben einzustellen.

Ganzes Haus (max. 6 Betten, Freitag bis Freitag): 1050 €   bis 6 Personen in der Hauptsaison und 950 EUR in der Nebensaison. Mehrtage/Mindetage +/- 100 EUR

Entschleunigtes Mitleben – Mit Gärten und Tieren auf Tuchfühlung gehen

Wo man im Boden wühlt, teilt die Erde den Händen eine Veränderung mit; sie macht sie trockener, ausgezehrter und, wie ich meine, geistiger. Die Hand erfährt im Boden eine Reinigung. Die Finger im mürben, trockenen Grunde zu bewegen, den die Sonne und auch die Gärung wärmten – das ist ein sehr angenehmes Gefühl. (Strahlungen I)
Ernst Jünger

Sie sind eingeladen, bis zu 3 Stunden am Tag bei den Arbeiten im Nachhaltigkeitszentrum zu zuschauen und Erfahrungen zu sammeln.  Es wird kein Arbeitspensum geben! Aber es kann eine sehr befriedigende Erfahrung sein, Salatpflänzchen von Wildkräutern zu befreien und von der Kresse zu kosten oder Tieren frisches Wasser zu bringen.

Grundpreise wie beim Basisangebot zuzüglich 40 € pro Tag

Entschleunigungsberatung

Individuelle Beratung durch eine ausgebildete Beraterin.
Sie wollen nicht nur eine kurze Zeit auf dem Hof langsamer und einfacher leben, auch ihr Alltag soll mehr ihren Bedürfnissen entsprechen und lebenswerter werden. Sie wollen in der Tretmühle nicht genauso weiter machen wie vorher, weil sie das Gefühl haben, dass das Leben dann an ihnen vorbeirauscht.
Wir helfen ihnen dabei, zunächst ein Resümee zu ziehen und dann nach Möglichkeiten zu suchen, was sie umgestalten und wie sie dies umsetzen möchten.
Über die Dauer ihres Aufenthaltes hinaus, bieten wir ihnen an, sie noch so lange wie gewünscht in den Alltag und seine Entschleunigung per Mail/Telefon zu begleiten, damit ihr Aufenthalt möglichst nachhaltige positive Folgen hat.

Beratungsstunde  90 €, mindestens 2 Beratungsstunden pro Entschleunigungswoche sind empfehlenwert.

Soziologie der postmodernen Lebensweise oder warum sich der moderne Mensch abhetzt und doch nicht zu sich kommt

Philosophen, Soziologen, Psychologen u. a. beobachten und beschreiben die komplexen, sich immer wieder wandelnden Phänome der gesellschaftlichen Strukturen und Lebenswelten, der Befindlichkeiten des Einzelnen und seinen Heraus- und mitunter gar Überforderungen sehr genau. Im folgenden soll eine wissenschaftliche Auseinandersetzung und die aktuellen Diskurse über die Arbeitsgesellschaft einen möglichen Ansatz zeigen für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die unsere Befindlichkeiten und Möglichkeiten vorzeichnen und aufzeigen, warum Beschleunigung und Entfremdung im System der Moderne liegen. Nur wenn dies Gegenstand einer gesellschaftlichen Reflexion wird, können wir Bedingungen, die außerhalb unserer individuellen Bewältigungsmöglichkeit liegen, wahrnehmen und gegebenenfalls gesellschaftlich gegensteuern. Der folgende Text ist der Diplomarbeit „Das Ende der Reproduktionsarbeit?“ von Marie-Theres Vogel, erschienen im Grin-Verlag, entnommen.

1.1.                  Die Arbeitsgesellschaft
1.1.1.               Was ist Arbeit?

Laut dem Lexikon für Politik ist Arbeit folgendermaßen definiert:
„A. ist eine spezifisch menschliche sowohl körperliche als auch geistige Tätigkeit, die vor allem dazu dient, die zur Existenzsicherung notwendigen Mittel zu beschaffen. Sie stellt aber auch immer eine technisch-kulturell geprägte Form der Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umwelt dar. A. ist insofern ein gestaltender, schöpferisch-produzierender und sozialer, zwischen Individuen vermittelnder Akt. A. ist von zentraler Bedeutung für die Verteilung individueller Lebenschancen, das Selbstwertgefühl und die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft. Eine engere ökonomische Definition bindet den Begriff A. ausschließlich an die zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen – über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt – vermittelte und entlohnte Erwerbs-A. Im politisch-ökonomischen Sinne ist A. der wichtigste Produktionsfaktor, der als Grundlage zur Entwicklung der Faktoren Boden, Kapital und technischer Fortschritt dient. Aus dieser Sicht wird auch zwischen Produktions- und Reproduktions-A. unterschieden und letztere traditionell insbesondere Frauen zugewiesen. Die Reproduktions-A. wird ausschließlich oder parallel zur Erwerbs-A. als Haus-, Familien-, Erziehungs- und Pflege-A. unentgeltlich ausgeübt. Die Unterscheidung nach selbständiger und unselbständiger A. zielt auf das Über- und Unterordnungsverhältnis (Weisungsbefugnis) im A.-Prozess und auf die Verantwortung für das Ergebnis der A. Die A.-Leistung selbst kann allerdings nicht von der jeweiligen Person des A.-Leistenden getrennt werden und ist erheblich von den gegebenen, durch Planung, Organisation und soziale Überlegungen beeinflussbaren A.-Bedingungen abhängig. Das typische, moderne Industriegesellschaften charakterisierende Normalarbeitsverhältnis (z.B. Achtstundentag, Fünftagewoche, Jahresvollzeit-beschäftigung, Dauerarbeitsvertrag) gilt heute nunmehr als normativer Bezugspunkt zur Festlegung geringfügiger bzw. atypischer Beschäftigungs-verhältnisse“ (vgl. Schubert und Klein 2001 – Internetquelle 1).

So nüchtern und eindeutig, wie das Lexikon die Arbeit des Menschen beschreibt, ist sie nicht immer zu beschreiben gewesen. Die Arbeit der Menschen ist nicht losgelöst zu verstehen von den gesellschaftlichen Bedingungen, die die Arbeit ihren Regeln und Gesetzen unterwirft, die Strukturen bereitstellt, die Aneignung und Nutzung der Arbeitsressourcen und die Verteilung der Arbeitsresultate festlegt. Je nach Kultur, Staatsform und Epoche kommt es zu verschiedenen Verständnissen und Auswirkungen von Arbeit in der Gesellschaft, die eine historische Dimension besitzen.
In den antiken Gesellschaften bis hin ins Mittelalter war Arbeit ein lästiges Übel und Mühsal, die für die ganz große Mehrheit der Menschen harte Arbeit zur Überlebenssicherung gegen alle möglichen Unbilden der Natur abverlangte und die von dem, der dazu geboren war, tunlichst gemieden wurde, um in Muse, also in der Arbeitsfreiheit die wirklich bedeutenden kreativen und kulturellen Leistungen und Entwicklungen zu schaffen. Die wirtschaftliche Einheit des ganzen Hauses war identisch mit dem, was Familie war. Alle zur Daseinsvorsorge im Lebenszusammenhang stehenden Tätigkeiten wurden mit dem Begriff „Arbeit“ bezeichnet, die der Männer genauso wie die der Frauen, Kinder und Alten. Natürlich gab es schon immer kulturell geregelte Zuschreibungen von Arbeit in Abhängigkeit von Geschlecht, sozialem Rangplatz, Alter etc. (vgl. BfJFG 1984).
Aber erst in der Neuzeit wurde Arbeit zu einem konstituierenden Prinzip der modernen Leistungsgesellschaft. Gesprochen wird auch von der Arbeitsgesellschaft, in der  Arbeit zum zentralen Lebensinhalt wird und der Status des Einzelnen sich aus seiner Arbeit ergibt. Die Geschichte der Arbeitsgesellschaft beginnt mit dem Aufstieg des Bürgertums, das sich selbst über Ordnung, Disziplin und Arbeit definiert und setzt sich in allen Volksschichten mit der Industrialisierung durch. Der Müßiggang wird zum sozialen Feindbild, als sich Martin Luthers „protestantische Ethik“ (Max Weber) durchzusetzen beginnt. Heute wird jede Tätigkeit gegen Entgelt als Arbeit bezeichnet, Arbeit wird zur unhinterfragten Voraussetzung für gesellschaftliches Handeln.
Karl Marx wurde zum größten Kritiker der Arbeitsgesellschaft. Das grundlegende Problem sieht er in der Wandlung der Arbeit einstmals zur Befriedigung des Bedarfs (lebendige Arbeit) nun zur Arbeit als Selbstzweck, die sich nur im Geld verwirklicht (tote Arbeit).  Arbeit um der Arbeit Willen nennt Marx abstrakte Arbeit, die zur Entfremdung des Produzenten von seinem Produkt und zu der Möglichkeit der Ausbeutung durch den Produktionsmittelbesitzer führt (vgl. Marx 1867).
Auch Max Weber beschreibt den Wandlungsprozess des Zweckes der Arbeit ähnlich, nämlich dass der „Erwerb“ von Mitteln zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung in der industrialisierten Gesellschaft zum Selbstzweck gerät (vgl. Weber 1905).
Die Diskussionen über die Wertimplikationen von Arbeit liefen an der nicht vermarkteten Familienarbeit völlig vorbei und konzentrierten sich auf seine gerechte Gestaltung und Entlohnung. Die Erwerbstätigkeit wurde in der gesellschaftlichen Perspektive zum allumfassenden Arbeitsbegriff. Die individuelle soziale Sicherung wurde an das Phänomen Erwerbsarbeit gekoppelt. Arbeit wird in der Arbeitsgesellschaft geradezu zu einem Grundbedürfnis, in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 stellt Artikel 23 ausdrücklich fest, dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit und angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen habe.

1.1.2.               Arbeit in der Postmoderne
1.1.2.1.            Charakteristika der Postmoderne   

Unter Postmodernisierung können mit dem Soziologen Hans-Günther Vester die „Entwicklung, Entfaltung und Durchsetzung der Merkmale verstanden werden, die man als postmodern ansieht“ (Vester1993, S. 24), die also über die Moderne hinausweisen, sie gleichsam erschüttern, infrage stellen und auflösen. War die einfache Modernisierung die Rationalisierung der Tradition, meint reflexive Modernisierung die Rationalisierung der Rationalisierung (vgl. Beck 1992). Das Produkt der Moderne, die Industriegesellschaft, rationalisiert nun ihre eigenen Notwendigkeiten, Grundlagen, Funktionsprinzipien und Voraussetzungen. Dies trifft ebenfalls auf die Kleinfamilie mit den in sie eingelassenen `Normalbiographien´ von Männern und Frauen und die Normierungen der Berufsarbeit zu (vgl. Beck 1986). Baute der Modernisierungsprozeß auf die Kontinuierung der industriegesellschaftlichen Grundkategorien auf, so transformiert sich die Moderne mit der Einlösung ihrer Funktionsprinzipien paradoxerweise selbst. „Reflexive Modernisierung heißt also: eine zunächst unreflektierte, gleichsam mechanische-eigendynamische Grundlagenveränderung der entfalteten Industriegesellschaft, die sich im Zuge normaler Modernisierung ungeplant und schleichend vollzieht und die bei konstanter, möglicherweise intakter politischer und wirtschaftlicher Ordnung auf dreierlei zielt: eine Radikalisierung der Moderne, welche die Prämissen und Konturen der Industriegesellschaft auflöst und Wege in andere Modernen – oder Gegenmodernen – eröffnet“ (Beck 1996, S.29). Die inzwischen scheinbar naturgegebenen Lebensformen und Normen der Industriegesellschaft werden obsolet und die gesteigerten Ansprüche der Postmoderne an Flexibilität, Mobilität und die Entstehung von individualisierten Konsumentenrollen sowie die sich in alle Bereiche einschleichende Marktorientierung lassen die Angst- und Unsicherheitsbewältigung der Menschen in ihren sozialen Millieus und Rollen  (inklusive der Geschlechter- und Elternrollen) mehr und mehr versagen (vgl. Rauschenbach 1994). In den Zwängen des Arbeitsmarktes und der Konsumexistenz innewohnenden  Standardisierungen und Kontrollen sucht der einzelne nun nach Halt, um seine Lebensform selbst herzustellen, die eigene Biographie zu konstruieren. Für Beck ist die Individualisierung in dieser Betrachtung nicht gelungene soziale oder menschliche Emanzipation, sondern mit einer „Institutionalisierung und Standardisierung von Lebenslagen“ (Beck 1986, S. 119) verbunden. Somit werden die Individuen, wie Beck (ebd.) ausführt, arbeitsmarktabhängig und damit bildungsabhängig, konsumabhängig und abhängig von sozialenrechtlichen Regelungen und verschiedendisziplinärer Beratung und damit zum Spielball der Moden und konjunkturellen Märkte.
Neben der Individualisierung prägt vor allem die funktionale Ausdifferenzierung die moderne Gesellschaft. Im Sinne der soziologischen Systemtheorie wird die moderne Gesellschaft als ein primär funktional ausdifferenziertes Sozialsystem beschrieben (vgl. Luhmann 1986; 1997). D.h., dass die moderne Gesellschaft in autonome, hierarchisch geordnete Teilbereiche (z.B. Wirtschaft, Politik, Religion, Recht, Pädagogik etc.) gegliedert ist, die jeweils exklusiv gesamtgesellschaftliche Funktionen erfüllen und keiner dieser Bereiche eine Spitze oder ein Zentrum der Gesellschaft bilden. Die Einbindungsmöglichkeit der Menschen in die Gesellschaft unter den Bedingungen der Moderne wird mit Inklusion und Exklusion beschrieben (vgl. Luhmann 1995, 1997 Bd. 2) und ersetzt gewissermaßen die Unterscheidung von Integration und Desintegration (vgl. Nassehi 1997).
Nicht mehr ausdifferenzierte soziale Strukturen mit fest gefügten Regeln und Strukturen integrieren den Menschen (wie in der segmentären bzw. stratifikatorischen Gesellschaft), sondern die Inklusion erfolgt über gesellschaftliche Teilsysteme und erfasst den Einzelnen nur teilweise lediglich als soziales Konstrukt Person und lässt an ihrer Kommunikation teilnehmen (vgl. Luhmann 1995). Die Kommunikation regelt sich über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die die Individuen ins Spiel bringen müssen, um für die Kommunikation der Funktionssysteme als kommunikatives Ereignis Person relevant zu sein. Die Nichterfüllung der jeweils funktionssystemisch spezifischen Erwartungen erhöht das Risiko, die Inklusion in diese Funktionssysteme zu gefährden (vgl. ebd.).
Die Inklusion bedeutet aber die gleichzeitige Exklusion des Individuums, da der Mensch theoretisch und empirisch tatsächlich außerhalb der Systeme steht (vgl. Luhmann 1995, 1997 Bd. 2). Habermaß spricht deshalb von einem Auseinanderfallen von System und Lebenswelt (vgl. Habermaß 1982). Während sich auf der einen Seite die gesellschaftlichen Systeme differenzieren und verselbständigen, bleibt auf der anderen Seite das Individuum in seinen Lebenswelten auf sich selbst zurückgeworfen und kann nur noch differenziell funktionssystemisch nach nicht selbst determinierbaren Bedingungen an der Gesellschaft teilnehmen (vgl. Kleve 2002 – Internetquelle 2).
Was die Soziale Systemtheorie über die Inklusion und Exklusion der Individuen beschreibt, zeigt Beck quasi aus der Sicht der betroffenen Individuen.
Weitere Merkmale der Postmoderne, die die Arbeitsgesellschaft, aber auch Familie und Kindheit wandeln und prägen,  wie die Pluralität, die situativ durch Kommunikation auszuhandelnde geltende Norm, und die Reflexion sollen im folgenden  kurz erläutert werden (vgl. Kleve 2003 – Internetquelle 3).

Pluralität
In der postmodernen Gesellschaft kommt es zu einer Vervielfältigung von Weltsichten, ausgelöst durch die bereits weiter oben beschriebenen Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse. Eine soziale Auflösung der Unterscheidung von Norm und Abweichung vervielfältigt Normalitäten so lange, bis sich der Orientierungsmaßstab von selbst auflöst (vgl. Rauschenbach 1994). Die Akzeptanz von Differenz und Dissens ist die notwendige Voraussetzung für die diskursive postmoderne Gesellschaft. Die Anerkennung von und die Suche nach Denk- und Handlungsmustern, die sich mit der sozialen Vielheit, der sogenannten Pluralität vertragen, sind bezeichnend für die postmoderne Gesellschaft (vgl. Welsch 1993).

Kommunikation
Die polyzentrische Gesellschaft vermag keine für jedermann verbindliche Normen zu implementieren, fast alle sozialen Prozesse sind ihrer Selbstverständlichkeit beraubt, ergo muss jeweils situativ neu und speziell verhandelt, ausgehandelt, diskutiert, kurz kommuniziert werden, was hier und jetzt an Normen und Verbindlichkeiten gelten soll. Es gibt „nichts Unverrückbares und Unbestreitbares“ (Giesen 1991) mehr, wie der Soziologe Bernhard Giesen formuliert.

Reflexion
War die Moderne noch vom Glauben getragen, dass der Mensch die Welt nach seinen Wünschen und Plänen gestalten und steuern kann, werden in der Postmoderne die Grenzen menschlichen Handelns sichtbar. Da Kommunikation als kleinste Einheit sozialer Systeme diese und die Menschen aber nicht direkt steuern kann, trotzt die postmoderne Welt der menschlichen Veränderungsgewalt mit schleichenden und ungeplanten Nebenfolgen.
Um nun die realistischen Möglichkeiten des Machbaren und die vielfältigen Grenzen abzuschätzen, bedarf es der Reflexion des eigenen Beobachtens und Handelns in allen gesellschaftlichen Bereichen. Nach Jokisch (1996) verwandelt sich die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zunehmend in reflexive Differenzierung, um die Blindheit funktionaler Systeme gegenüber den Folgen, die sie in der sozialen, biologischen und psychischen Umwelt auslösen, wahrnehmen zu können (vgl. Jokisch 1996)

        1. Die Arbeitsgesellschaft der Postmoderne

 

In der postmodernen Gesellschaft, die nun die Forderungen der Moderne einlöst, kommt es aber zu einer Krise der Arbeitsgesellschaft. Nicht nur, dass der Mensch durch seine Arbeit die Umwelt derart umgestaltet hat, dass er und mit ihm die gesamte lebendige Welt sich selbst und seine Lebensgrundlage bedroht, auch die fortschreitende Technisierung und Industrialisierung, die immer mehr Arbeit des Menschen ersetzt und dann nach Marx keinen Mehrwert mehr schafft (vgl. Marx 1973), macht die Arbeit des Menschen selbst immer überflüssiger. Autoren wie Rifkin(1995) und Jenner (1997) diagnostizieren das Ende der Arbeit mit dem zentralen gesellschaftlichen Phänomen der Arbeitslosigkeit. Um diesem Problem beizukommen, werden in der Öffentlichkeit zwei Wege diskutiert: zum Einen eine forcierte Liberalisierung und Globalisierung des Marktes, die das Wachstum der Wirtschaft garantieren und dann Arbeitsplätze schaffen soll, wobei mit dieser These auch eine Entfamilialisierung verbunden ist, die durch eine erhöhte Erwerbsbeteiligung der Frauen zur Konsumankurbelung und zum Ausbau des Dienstleistungssektors führen soll, zum anderen die staatlich regulierte gerechtere Umverteilung von Arbeit. Autoren wie Ulrich Beck und Jeremy Rifkin plädieren in ihren Lösungsvorschlägen für eine Ausweitung des Arbeitsbegriffes auch auf nicht bezahlte, also nicht marktvermittelte Tätigkeiten, bei Rifkin von Tätigkeiten im so genannten Dritten Sektor mit dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten (vgl. Rifkin 1997), die auch eine größere Bedürfnisnähe der regional anfallenden und dann wieder ausgeführten Arbeiten mit sich bringen würde (vgl. Peters/Körber 2000), im Falle Becks würde es die Umwandlung der „Arbeitsgesellschaft“ in eine „plurale Tätigkeitsgesellschaft“ bedeuten, in der der Status der Menschen nicht mehr von ihrer Bezahlung abhängt (vgl. Beck 2000). Auch ein Bedenken der zeitlichen Komponente wird von vielen Autoren für unsere Gesellschaft angemahnt: Das Ende des Turbokapitalismus mit einer Zeit, die auschließlich in einer vom Markt vermittelten Gelddimension gemessen wird (vgl. Sander 2000), wird zugunsten von Entschleunigung und dem Menschen gerechter werdendere, erfülltere Lebenszeit von Zeitforschern gefordert (vgl. Reheis 2003 – Internetquelle 4).
Diese Forderungen bedeuten aber eine Aufwertung der familialen und sonstigen nicht marktvermittelten Tätigkeiten, einer dem Menschen bedürfnisgerechteren und befriedigenderen Arbeit. Dies zeigt auch, dass die Menschen mit ihren Gefühlen, auch in ihrer familialen Arbeit anerkannt und mit zeitlichem Budget ausgestattet zu sein und in der Gesellschaft schaffend zu partizipieren die Probleme der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, individuell spüren und aushalten müssen und dem Paradox von zu viel oder zu wenig Arbeit unvermittelt ausgesetzt sind.

Zitiert aus: Vogel, Marie-Theres: Das Ende der Reproduktionsarbeit? Die Auswirkungen des Wandels von Arbeitsgesellschaft, Kindheit und Familie auf die Elternschaft. Grin Verlag 2006